Eine Stadt in der Stadt im Schlosspark.
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
mein Name ist Christian Helbig, ich arbeite für den Haus Steinstraße e.V. in Leipzig und bin dort unter anderem als Projektleiter für die „Stadt in der Stadt“ – die Leipziger Kinderstadt – verantwortlich. Ich möchte Ihnen im Folgenden einen kurzen Einblick in die Inhalte des Projekts und vor allem in dessen Umsetzung auf dem Gelände des Schloss Schönefeld im Jahr 2023 geben.
Seit 2006 erwächst jedes Jahr in den ersten beiden Wochen der Sommerferien an wechselnden Standorten mitten in Leipzig eine kleine Stadt aus Holz, Schrauben und jeder Menge Fantasie. Ihre Erbauer und Erbauerinnen sind alle im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. Die Kinder erdenken und konstruieren die Häuser nach ihren Vorstellungen und Wünschen. Sie planen die Form, die Höhe und auch den barrierefreien Zugang zu diesen. Aber nicht nur beim Hausbau können die Kinder Einfluss auf die Gestaltung ihrer Stadt nehmen. Gemeinsam mit anderen legen sie in Bürgerversammlungen Regeln fest, bringen Vorschläge ein und stimmen über diese ab. Ebenso kann sich jedes Kind für die Wahl zum Bürgermeister aufstellen lassen und mit Hilfe eines eigenen Wahlprogramms von sich überzeugen. Neben dem Hausbau und den Bürgerversammlungen gibt es jede Menge weiterer Angebote die das Ferienspiel begleiten. Vom Korbflechten und der Specksteinbearbeitung über Zirkus, Tanz und Theater bis hin zu Malerei, Naturerkundungen und Spiel stehen verschiedenste Kreativ-Werkstätten bereit, um entdeckt und ausprobiert zu werden. So findet jedes Kind etwas, das es begeistert und wobei es seine Stärken und Talente einsetzen oder diese entdecken kann.
Bei der Kinderstadt geht es nicht darum, die „Welt der Großen“ einfach nur nachzuspielen, sondern darum, dass sich die Kinder eigene Gedanken machen, wie sie ihre Stadt gestalten möchten. Gibt es Geld, brauchen wir eine Polizei, wie teilen wir das vorhandene Material fair auf? Diese und weitere Fragen können im Projekt aufkommen und werden dann kindgerecht thematisiert.
Bei all dem werden die Kinder begleitet von einem großen Team ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer. Diese unterstützen die Kinder, geben ihnen, wenn nötig, Hilfestellung bei der Lösung von Problemen und bieten bei Konflikten Lösungsstrategien an. Dabei sind sie jedoch stets nur Assistenten der Kinder. Die Verschiedenheit und Vielfalt des Teams bilden eine weitere bereichernde Komponente des Ferienspiels. Das Altersspektrum umfasst dabei dreizehn bis 75 Jahre. Die Helferinnen und Helfer erhalten in Vorbereitung auf das Ferienspiel einen Workshop in dem sie lernen, wie sie mit Kindergruppen arbeiten und diese umsichtig begleiten.
Die Umsetzung der Kinderstadt im Jahr 2023 war für uns als Projektteam des Haus Steinstraße e.V. und unsere Kooperationspartner eine ganz besondere. Zum ersten Mal konnten wir das Projekt so ausrichten, dass vor allem auch Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen an diesem umfassend teilhaben und mitgestalten konnten. Die Jahre zuvor unternahmen wir viele Anstrengungen die Kinderstadt barrierearm und inklusiv auszurichten, aber oft waren die räumlichen Standortbedingungen in öffentlichen Parks nicht optimal hierfür.
Zu diesen optimalen Bedingungen verhalfen uns im letzten Jahr die Verantwortlichen des Schloss Schönefeld, in dem sie uns die Türen zu dem wundervollen Gelände öffneten. Somit war es uns möglich, die Kinderstadt zu den Kindern zu bringen, die sonst nur schwer oder gar nicht an ihr teilhaben konnten.
Unser Team bereitet in der Woche vor dem Start der Sommerferien das Gelände für das Projekt vor. Große Container für Material und Werkzeuge wurden angeliefert, Zelte wurden aufgebaut und natürlich jede Menge Bretter, Balken und Paletten herbeigeschafft. Das benötigte Holz verwenden wir übrigens über Jahre hinweg immer wieder, in dem wir die Kinderstadt nach Abschluss komplett auseinanderbauen und bis zum nächsten Jahr einlagern. So wird für die Kinder nachhaltiges Handeln greifbar.
Nachdem alles vorbereitet war, öffnete die Kinderstadt am 10. Juli 2023 für die Kinder. Über die 10 Projekttage besuchten täglich ca. 180 Kinder das Projekt. Viele kamen über Hortgruppen aus dem gesamten Stadtgebiet, aber auch private Teilnahmen gab es reichlich. Nach einer täglichen Begrüßung, starten alle Kinder gemeinsam in die Werkstätten. Dabei stand es jedem Kind frei, in welcher es sich betätigen möchte und wie lange. Das größte Angebot stellte natürlich der Bau der Häuser dar, aber auch die weiteren Angebote übten eine große Anziehungskraft auf die Kinder aus. Hier konnten sie: Körbe flechten, Speckstein bearbeiten, mit Ton und Naturmaterial gestalten, Papierschöpfen, Zirkus machen, tanzen, singen, malen, drucken, kochen sowie mit Tablets und Mikrofon ihre Kinderstadt dokumentieren. Da der Großteil der Kinder das Projekt über mehrere Tage besuchte, entstand für diese so schnell eine kleine Gemeinschaft und eine Vertrautheit mit dem Ort. Am Sonntag zwischen den beiden Projektwochen fand das Familienfest statt, zudem viele Kinder ihren Eltern noch einmal voller Stolz ihre Stadt zeigten.
Als Projektteam erlebten wir über die zwei Wochen viele Momente, in denen wir immer wieder feststellten, dass Inklusion vorwiegend über Begegnung gelingt. Viele Kinder von Horten außerhalb hatten zum ersten Mal so enge Berührungspunkte mit Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen. Die anfängliche Zurückhaltung wandelte sich jedoch schnell in lebhafte Interaktionen und gemeinsames Gestalten ihrer Stadt in der Stadt.
Wir freuen uns sehr an die gesammelten Erfahrungen anknüpfen zu können, wenn die Kinderstadt im Jahr 2024 erneut im Schloss Schönefeld zu Gast ist.
Hintergrund Informationen:
Das Projekt wird gefördert und unterstützt durch das Amt für Jugend und Familie der Stadt Leipzig, der Leipzigstiftung und dem Lions Club Tilia-Lipsiensis.
Stadt in der Stadt ist ein Kooperationsprojekt. Im Jahr 2023 gehörten folgende Institutionen und Vereine zur Projektgruppe: Haus Steinstraße e.V., Lernen Plus gGmbH Schloss Schönefeld, Bernd Blindow Schulen Leipzig, Kinder- und Jugendbüro Leipzig, Halle 5 e.V., Werk 2 – Kulturfabrik Leipzig e.V., Inspirata Mitmachmuseum, Grassi Museum für Völkerkunde, Restlos – ein Projekt des Mütterzentrum e.V., und verschiedene freischaffende Künstler.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.stadt-in-der-stadt.de
Aktuelle Nachrichten rund um das Schloss Schönefeld auch auf Facebook unter:
https://www.facebook.com/SchlossSchoenefeld